Nach dem Zweiten Weltkrieg schwenkte das Fasnachtsbrauchtum immer mehr auf den bayerischen Fasching ein. Bedingt war dies vor allem durch die bevölkerungspolitischen Verschiebungen, die der verlorene Krieg auslöste. Das heimische Element wurde durch zugewandertes Brauchtum mehr und mehr verdrängt. Dies zeigte sich besonders deutlich, als 1953 eine „Faschingsgesellschaft Lindau-Reutin“ ins Leben gerufen wurde, die sich auch ins Vereinsregister eintragen ließ (Vereinsregister des Amtsgerichts Lindau Nr. Ill 130 vom 7. Februar 1956). Damit wurde die Faschingsgesellschaft rechtskräftig zum eingetragenen Verein.Von heimischem Brauchtum war allerdings in dieser Faschingsgesellschaft nichts mehr zu spüren, wies sie doch neben einem gewählten Präsidium einen Elferrat und ein Faschings-Prinzen-Paar auf. Hier scheint der Bruch mit der bodenständigen Fasnacht vollzogen worden zu sein, so dass Lindau damit inmitten der das alte Fasnachtsbrauchtum weiter pflegenden benachbarten Bodensee- und Allgäustädte eine auf die Dauer nicht haltbare Sonderstellung einnahm.

So ist es auch gar nicht weiter verwunderlich, dass man in Lindau nach diesem „Abirren“ wieder zur historisch-traditionellen, schwäbisch-alemannischen Fasnacht zurückfand. Der erste Schritt dazu dürfte noch von der damaligen Faschingsgesellschaft gemacht worden sein, als sie 1960 eine erste Maskengruppe gründete, nämlich die Lindauer Moschtköpfe, die die typischen Merkmale der heimischen Fasnacht aufweisen. 1962 kam die Umbenennung in „Faschingsgesellschaft Lindau (B) mit Narrenzunft Lindauer Moschtköpf e. V.“. Diesem „neuen“ Verein war es nicht vergönnt, von sich aus die Wende zur bodenständigen Fasnacht zu vollziehen. Sie nahm eine rückläufige Entwicklung und geriet 1963 in eine so ernste Krise, dass sie praktisch zu bestehen aufhörte.

In dieser Situation fanden sich einige beherzte Männer, vor allem Rolf Trexler, der bekannte Puppenspieler, der den Weg wies, aber auch Heinrich Steil, Ludwig Stetter, Fritz Schmitt, Artur Buchberger, Josef Bogner, Jakob Gruber, Werner Steck u. a., die 1964 die Narrenzunft „Lindauer MoschtköpfeâEUR e. V. gründeten. Diese Zunft bestand anfangs aus drei Gruppen: dem Zunftrat (an dessen Spitze ein gewählter Zunftmeister stand), der vom Zunftrat abhängigen Moschtkopfgruppe sowie der weiblichen Garde, die man noch von der Faschingsgesellschaft übernommen hatte, ebenso wie den Zunftnarren, der im alten Gewand des „Hofnarren“ agierte.

Der Zusammenbruch der Faschingsgesellschaft hatte aber noch eine andere Folge: Unabhängig von der Narrenzunft „Lindauer Moschtköpfe“ entstand 1964 eine neue Narrengruppe, die Lindauer Binsengeister, die sich von Anfang an in Kostüm, Zubehör und Zielsetzung auf die alte, heimische Fasnachtstradition stützte. Die Narrenzunft „Lindauer Moschtköpfe“ und die „Lindauer Binsengeister“ standen sich allerdings in der ersten Zeit nicht sonderlich freundlich gegenüber. Manche Schwierigkeiten mussten ausgeräumt werden, ehe sich im Laufe der Jahre eine Zusammenarbeit entwickelte.

Die Narrenzunft begann nunmehr zielstrebig, typische Fasnachtsveranstaltungen, wie Narrenbaumsetzen, Sturm aufs Rathaus, Umzug am Fasnachtssonntag, Narrenbaumlegen, Fischessen usw. einzuführen. Schon Ende 1968 konnte, nachdem die weibliche Garde abgeschafft worden war, eine neue Narrengruppe, die Lindauer Schanzengarde , gegründet werden, in die nur männliche Mitglieder aufgenommen werden. Die Zusammenarbeit zwischen „Moschtköpfen“ und „Binsengeistern“ war inzwischen soweit gediehen, dass man an eine Reorganisation der Zunft gehen konnte.

1969 vollzog sich innerhalb der Zunft die endgültige Wende zur brauchtumsbewussten, schwäbisch-alemannischen Fasnacht, die durch die Gründung der Narrenzunft Lindau (Bodensee) e. V. sichtbar wurde. Dieser Zunft schlossen sich auch die Binsengeister als Narrengruppe an. Damit begann für die Fasnacht in Lindau ein neuer, bleibendes Brauchtum schaffender Abschnitt.

Der nunmehr konsequent gegangene Weg erwies sich als richtig. Konnte doch die Narrenzunft Lindau (Bodensee) e. V. nicht nur den Zusammenschluss der „Moschtköpfe“, „Schanzengarde“ und „Binsengeister“ verzeichnen, sondern bereits 1969 eine neue Gruppe, die „Lindauer Pflasterbuzen“, aufnehmen. Damit erhielt die Narrenzunft eine Maskengruppe, die bewusst an urkundliche Erwähnungen anknüpft und überliefertes Fasnachtsbrauchtum in der Abhaltung des „Hahnentanzes“ als Buzentanz wiederaufleben ließ.

1970 wurde die letzte Maskengruppe ins Leben gerufen, die “ Lindauer Kornköffler“, die ebenfalls auf Lindauer Brauchtum basiert und ein Ratsprivileg wiederaufleben ließ, das eine Lindauer Kornverkäuferzunft am Schrannenplatz 1428 erhielt, nämlich Brot zu backen und zu veräußern; den Köfflerwecken.

1971 wurde als letzte Gruppe der „Lindauer Fanfarenzug“ gegründet, weil jede Narrenzunft entweder eine „Lumpenmusik“, eine Schalmeienkapelle oder einen Fanfarenzug als Klangkörper besitzt. Anfang 1972 wurde die Schanzengarde neu eingekleidet, die jetzt gewissermaßen die Aufgaben von früheren „Stadtknechten“ übernahm. Im gleichen Jahr wurde das letzte Requisit des früheren Faschings, der Zunftnarr und die Zunftnärrin, abgeschafft, die nunmehr zu Narreneltern in Kostüm und Aufgabe geworden sind.

Die Narrenzunft Lindau (Bodensee) e. V. gab sich in einer am 16. April 1971 verabschiedeten neuen Satzung die wohl strengste Narrenordnung, die man sich denken kann. In ihr wird zum Ausdruck gebracht, dass die Lindauer Fasnacht in Zukunft von verantwortungsbewussten Bürgern geleitet werden soll, „um eine brauchtumsbewusste, ansprechende Fasnacht zu gewährleisten“. Ihr Ziel ist es, „ererbtes, bodenständiges Fasnachtsbrauchtum zu erhalten, zu pflegen und zu fördern“.

Den Mitgliedern der Narrenzunft wird es zur Pflicht gemacht, sich im Häs und unter der Maske einwandfrei zu benehmen, weder unverantwortlichen Unfug zu treiben, noch irgendwelchen Schaden anzurichten, sich weder zu betrinken, noch die Fasnacht als Austobungsfeld erotischer Gelüste zu betrachten. Jeder Verstoß gegen diese Gebote hat den Ausschluss aus der Zunft zur Folge. So ist es auch jedem Zunftmitglied verboten, bei Ordensverleihungen die âEUR“ nach unserer Sicht âEUR“ unpassende Küsserei auszuüben. Dank dieser Satzung und der Tatsache, dass sich die Narrenzunft außerhalb der Fasnacht sozialen, öffentlichen Aufgaben verschrieben hat, konnte sie in kurzer Zeit den Boden gewinnen, der notwendig war, um aus ihrem Wirken ein bleibendes anerkanntes Fasnachtsbrauchtum zu schaffen.

Literaturnachweis: Bäckert, Horst (1973), Die Lindauer Fasnacht, 1. Auflage, Herausgegeben von der Narrenzunft Lindau (B) e.V., Seiten 40-44